Es war einmal eine indische Prinzessin, davon gibt es dort ganze Hundertschaften, fast mehr noch wie Prinzen in Saudiarabien. Chandra hiess sie, und sie war schön wie im Märchen, zart gebräunt, hatte eine leichte aber hochelegante Hakennase, edel sah das aus, auch wenn B., wie immer im Leben, einige Jahre zu spät dran war. Und er war nicht vorgesehen, mit der auch im Alter noch sehenswerten Erscheinung zu kokettieren, sondern sie zu auf der Durchreise in Zürich zu betreuen, im Auftrag eines einstigen Verehrers.

Für andere war sie nicht allzulange zuvor noch eine Liebesgöttin gewesen, Kult- und Lustobjekt zugleich, beides auf höchstem Niveau. Ihre erotische Ausstahlung erwärmte die Herzen diverser älterer Schweizer Industriekapitäne und Finanzleute, die sich in traditioneller Männerkumpanei stets gegenseitig die Telefonummern persönlich geprüfter und für gut befundener Ladies zuschoben.

Zustände wie bei Dürrenmatt (siehe unter „Grieche sucht Griechin“, Seite [in Arbeit]). Namhafte Fans waren u.a. der Verwaltungsratspräsident einer Bank oder der Big Boss einer weltbekannten Kondensmilch- und Pulverkaffeefabrik irgendwo zwischen Cham und Vevey. Und wenn sie den letzteren, einen gemütlich-rundlichen Herrn aus dem Schwabenlande, zum Stöhnen brachte, hörte sie genau hin, sie war ja nicht nur charmant und wunderschön, sondern auch intelligent.

Die grosszügigen Zuwendungen, die ihr ihre zärtlich getrösteten Fans in die Hand drückten, legte sie loyalerweise gleich bei der Bank des einen an, und ihr dortiger Betreuer, B.-Freund Ruedi S. wunderte sich über ihre einseitige Anlagepolitik, sie kaufte andauernd RJR-Nabisco-Aktien[1], und nur diese und nichts anderes.

Ruedi war, genetisch bedingt, bauernschlau, denn sein Vater war zweitberuflich Bauer in Otelfingen gewesen (und fuhr seinerzeit täglich nach dem Kühemelken von dort in sein Büro auf der Zürcher Kantonalbank – woraufhin es in der Kantonalbank spätvormittags nach Kuhstall und im Stall abends nach Geld roch) – also dieser Ruedi wurde stutzig, denn er wusste von ihrer Liaison mit dem Kondens-Milchmann[2]. Er ging zur WIDO, der damals öffentlich zugänglichen Abteilung Wirtschaftsdokumentation der UBS und las den Geschäftsbericht[3]. Ja, gute Firma, guter Ertrag, interessant. Nun zeigt sich der feine Unterschied zwischen Wissen und Fachkenntnis: Ruedi kaufte nicht einfach die Aktien des Unternehmens, sondern investierte für ihn damals happige CHF 30.000 in kurzfristige Call-Optionen, zack, es gab eine Megafusion “…und so habe ich meine erste Million gemacht“, schmunzelte Ruedi.

* * *

Das juristische Thema hier ist das sogenannte “Insidergeschäft“[4], das in der Schweiz auf Druck der Amerikaner strafbar erklärt wurde. Hätte Ruedi einen einschlägigen Tipp erhalten, etwa vom Milchmann selbst, hätte er sich strafbar gemacht. Er hat aber nur “zwei und zwei zusammengezählt“ und daraus zulässigerweise den richtigen Schluss gezogen. Auch die schöne Inderin, die während einer Fusion (lat. Verschmelzung) mit ihrem Liebhaber diesen um Rat gefragt hat, in was sie investieren soll, wusste nicht zwingend von der bevorstehenden Konzernübernahme. Und weil Kapitalgewinne nicht steuerbar waren, hat Ruedi nicht einmal Schwarzgeld generiert.

Das waren schöne Zeiten damals, win-win-win Situation für alle drei, Spass par tout, und nicht der dümmste Bauer hat die grössten Kartoffeln, sondern der schlaueste hat die Million.

[1] oder eine ähnliche, Name geändert

[2] B. hat in den 1960er noch erlebt, wie bei Oma in St. Gallen-Bruggen täglich der Milchmann vorbeikam

[3] … so kompliziert kam man damals zu Informationen, 1980er-Jahre, noch ohne Internet

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Insiderhandel

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